Warum heißt ein Gebäude aus dem Jahr 1504 Neubau? Warum haben manche Häuser mehr Kellergeschosse als Wohnplatz und warum sind bei anderen die Obergeschosse fast auf Straßenniveau? Warum gab es im Fischbrunnen lebende Fische und was hat das alles mit der Hexe Katharina zu tun?
Wollt ihr das heraus finden, dann folgt mir auf einem Stadtrundgang der etwas anderen Art.

Wir gehen zurück ins Jahr 1574. In der Stadt ist mächtig was los: Händler verkaufen ihre Waren auf dem Marktplatz, Sieder erhitzen die Sole und sorgen für Nachschub des "weißen Goldes" und andere schuften im Stall. Die Stadt ist bereits dicht besiedelt und so bleiben Neid und Missgunst nicht aus. Die Badersfrau Katharina lebt zu dieser Zeit in (Schwäbisch) Hall und ist nicht auf den Mund gefallen. Immer wieder beschimpft sie andere Bürger und wird dabei auch schon mal handgreiflich. Ihr Mann ist machtlos dagegen und so kommt es, wie es kommen muss: sie wird als Hexe verurteilt.

Über insgesamt acht Stationen werden wir Katharina auf unserem Stadtrundgang begleiten. Das ganze in Form einer GPS-Schnitzeljagd, bei der es gilt an jeder Station die Koordinaten für das nächste Ziel zu finden. Das ist manchmal gar nicht so einfach, macht aber viel Spaß.
Start und zentraler Platz heute, wie auch damals ist der Marktplatz.
Natürlich gibt es in jeder Stadt ein Rathaus. Das hiesige stammt nicht aus Katharinas Zeiten. Nach einem Stadtbrand im Jahre 1728 erbaute man auf den Ruinen der Klosterkirche ein repräsentatives Rathaus ganz im Stil der damaligen Zeit. Ob der Ort gut gewählt war? 1945 wurde es von einer Bombe getroffen und brannte aus. Zufall oder Strafe? Jedenfalls wurde es abermals im alten Stil erbaut und steht bis heute.

Auch der Adel genehmigte sich gerne mal ein Gläschen, aber natürlich nicht inmitten des gemeinen Volkes. Nein, die hatten ihre eigene Trinkstube. >>>

Verwalten macht Durst. Kein Wunder, wenn man den ganzen Tag über staubigen Akten brütet. Da muss man doch Abhilfe schaffen und so richtete man sich neben dem neuen Rathaus gleich mal die Ratstrinkstube ein.
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Hoch über allem thront die Kirche St. Michael. 53 Treppenstufen hat die riesige Freitreppe. Sie entstand als Ersatz für eine hohe Mauer. Dachten die etwa Diebe wären platt und könnten leichter gefangen werden, nachdem sie die Stufen erklommen hatten? Oder flieht es sich nicht so leicht treppab? Heutzutage finden auf ihr im Sommer die Freilichtspiele statt und das finde ich echt gewagt. Da musst du dir als Darsteller nicht nur deinen Text merken, sondern auch aufpassen, wo du hintrittst.

Was macht wohl der Fischhändler im Mittelalter an heißen Sommertagen? Schließlich hat er leicht verderbliche Ware. Er schmeißt die Fische kurzer Hand in den Fischbrunnen am Marktplatz. Bewacht von den drei Dämonenbezwingern Georg, Simson und St. Michael kann dann ja auch nichts passieren.
Kommen wir zurück zu unserer Hexe. Hier am Brunnen befand (und befindet sich noch heute) der Pranger. Hier wurden aber nur kleinere Vergehen abgebüßt und wie jeder weiß, war der Vorwurf der Hexerei in früheren Jahren eine gefährliche Anschuldigung.
Katharina lässt das Zetern und Pöbeln nicht und irgendwann wird es der Nachbarschaft zu viel. Sie suchen Hilfe beim Pfarrer von St. Katharina. Aber auch der predigt vergebens und sieht als letzten Ausweg nur die Anzeige bei der Gerichtsbarkeit. Mitgefangen, mitgehangen – und so kommt es, dass Katharina, aber auch ihr Mann Hans am 27.03.1574 verhaftet werden. Hans hat Glück; man glaubt seinen Aussagen und er verlässt nach 24 Nächten als freier Mann das Gefängnis.

Übrigens hatte der Adel so seine eigene Art Streitigkeiten zu schlichten. Kam man zu keinem Ergebnis bezüglich Schuld oder Unschuld, wurde einfach der Markt mit einer Kette abgesperrt und die
Geschichte mit Schwert und Lanze im ritterlichen Zweikampf geklärt.
Geht doch! Reste dieser Kette sind noch am mächtigen Fachwerkhaus zu finden.

Der Marktplatz war zwar das Zentrum der Stadt, aber der Haalplatz war im wahrsten Sinne des Wortes die Quelle allen Reichtums. Aus 13 Meter Tiefe wurde aus dem Haalbrunnen die Sole gefördert und in den umliegenden Häusern zu Salz gesotten.


Auf Fuhrwerken verließ das weiße Gold des Mittelalters durch den Sulferturm und die Furt im Fluss die Stadt, um es dann auf den großen Salzmärkten in Speyer oder Frankfurt zu Geld zu machen. Von dem Geld wurde Wein gekauft. Doch dazu später mehr.


Der Sulferturm aus dem Jahre 1250 diente einst aber auch als Untersuchungsgefängnis und genau hierher wird Katharina gebracht. 68 Anklagen liegen vor. Leider zeigt sich Katharina nicht so einsichtig wie ihr Mann und gesteht nur, dass sie mit ihren Nachbarn gestritten und im Zorn geflucht habe. Das reicht den Ratsherren nicht als Geständnis und sie müssen sich etwas anderes ausdenken. Was das ist und wohin man die Frau bringt? Folgt uns einfach weiter durch die Stadt.
Wir folgen nicht dem Weg des Reichtums, sondern kehren dem Haalplatz den Rücken und wenden uns wieder der Innenstadt mit ihren wunderschönen Fachwerkhäusern zu, darunter auch "Olli's Bar", eines der ältesten Häuser der Stadt.
Übrigens findet man auch hier, wie in vielen alten Städten, die schönen Gaststättenschilder. Welches meine Drachen zum Lieblingsschild erkoren haben, ist wohl unschwer zu erkennen.

Was haben jetzt die Diskothek „Barfüßer“ und das Rathaus gemeinsam? Na, wer erinnert sich auf welchen Ruinen das Rathaus errichtet wurde?
Richtig, hier stand einst ein Kloster der Franziskaner (und die verzichten auf Schuhe). Übriggeblieben sind nur zwei Gebäude, die auch nicht mehr als Kloster genutzt werde. Beeindruckend sind aber die beiden Portale.
Von hier geht es in die Obere Herrengasse. Wirft man vom Ufer der Kocher einen Blick auf die Stadt, fällt einem auf, dass die Häuser hier mehrstöckige Keller haben. Das führt uns zurück zum Salzhandel. Haben wir doch gelernt, dass vom Erlös des Salzverkaufs Wein eingekauft wurde. Der wurde in den Kellern gelagert, bevor er ins heutige Bayern weiter verhökert wurde. Ob das so eine gute Idee war. Fällt einem nicht bei Bayern eher Bier ein? Wahrscheinlich war das zu jener Zeit noch anders.


Die Gasse endet am Schiedgraben. Am anderen Ende der Brücke war dann schon das Gebiet der Schenken von Limpurg. Die nannten zwar keinen Solebrunnen ihr eigen, wollten aber auch am Salzhandel verdienen und so kassierten sie eifrig Steuern für die Fahrt durch ihr Herrschaftsgebiet.
Auch auf das Holz der Limpurger Bauern waren die Sieder angewiesen. Wie sollten sie sonst ihr Feuer entfachen, um die Salzsole zu verdampfen. Ob die Limpurger das wohl ausgenutzt haben? Jedenfalls kam es 1431 zum Streit und der Rat der Stadt hat mal eben das Limpurger Tor zumauern lassen. Dumm gelaufen, denn damit fielen die Einnahmen aus den Steuern weg.
Etwa 92 Treppenstufen liegen jetzt vor uns (hoch, nicht runter) bis wir auf den Neubau stoßen. Der ist aber gar nicht so neu, denn er wurde 1504 erbaut und diente einst als Getreidespeicher und Waffenkammer.

Der kleinere Turm daneben ist der ehemalige Folterturm. Im Untergeschoss befand sich ein sechs Meter tiefes, dunkles Verlies und darüber eine Folterkammer. Ihr ahnt sicher schon, warum wir hier sind. Richtig, die Ratsherren lassen den Henker (auch für Folter zuständig) kommen. Katharina bleibt vorerst bei ihrer Aussage, doch die Folter zu jener Zeit ist extrem schmerzhaft und grausam und so gesteht sie letztendlich eine Hexe zu sein. Erstaunlicherweise lautet das Urteil aber nicht: Tod durch den Scheiterhaufen, sondern lebenslange Gefängnisstrafe.

Durch die enge Pfarrgasse, vorbei am Wohnhaus für Lehrer der Lateinschule, gelangen wir wieder auf den Marktplatz. Wohin hat es aber unsere Katharina verschlagen.

Nachdem sie der Zauberei und Beleidigung Gottes angeklagt wurde, wird sie erst mal an den Pranger gestellt, wo sie von den Einwohnern beschimpft und bespuckt wird.
Danach bringt man sie in die Gewölbe des Spitals, wo sie ihre lebenslange Haft absitzen soll.
Bei ihrer Verurteilung hat sie schwören müssen, das Urteil des Gerichts zu akzeptieren und nichts dagegen zu unternehmen. Das ist die Urfehde und ein Bruch derselbigen käme einem Meineid gleich und würde hart bestraft werden.
Keine zwei Wochen hält sie es im Gefängnis aus, dann flieht sie und bricht damit die Urfehde.
Ob sie den gleichen Weg gewählt hat wie wir, keine Ahnung. Wir folgen der Gelbinger Gasse mit ihren hübschen Fachwerkhäusern
und dem Gräterhaus, dem angeblich schönsten Fachwerkhaus der Stadt. Ok, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten.

Gegenüber liegt das Landratsamt. Nicht besonders schön und eigentlich auch nicht erwähnenswert, aber die Umsetzung des Geländers auf dem breiten Treppenaufgang finde ich mehr als gelungen. Die Ziege hat sich übrigens auch von mir nicht zur Fortbewegung überreden lassen.
Am Josenturm vorbei geht es steil hinab ans Ufer der Kocher. Er war einst einer der sage und schreibe fünfzig Türme der Stadtbefestigung.
Wir sind Katharina wieder auf den Fersen, denn auch ihre Flucht führt sie an das Flüsschen. Sie weiß genau, wenn man sie erwischt, wird das böse für sie enden.


Vor uns liegt die Henkersbrücke aus Stein. In der Mitte ein kleines Häuschen. Hier saß der Henker, wenn er nicht gerade folterte und kassierte einen Holzzoll. Holz wurde ja, wie wir gelernt haben, massenhaft in der Stadt benötigt, da war das Einkommen sicher nicht schlecht.

Hoffen wir mal für Katharina, das der Henker heute anderweitig beschäftigt ist, denn auch sie überquert die Brücke und hofft in der gegenüber liegenden Johanniterkirche Asyl zu finden. Pustekuchen, die Türen bleiben ihr verschlossen. Aber darf die Kirche das überhaupt?
Vielleicht liegt es an der wechselseitigen Geschichte der Kirche. Ursprünglich war sie ein städtisches Hospital, geführt vom Johanniterorden. Die haben ihre Sache aber scheinbar nicht gut gemacht, denn wegen schlechter Führung übernahm die Stadt 1317 das Spital wieder. Mit der Reformation wurde sie 1534 für den katholischen Gottesdienst geschlossen und das war es dann erst mal. Elf Jahre tat sich nichts und dann übernahm ein protestantischer Pfarrer.
Jetzt ist guter Rat teuer. Wo soll Katharina hin? Sie hat Hunger, die Müdigkeit raubt ihr die Kräfte und doch schleppt sie sich die Mauerstraße entlang; immer mit der Angst im Nacken, ein weiteres Mal verurteilt zu werden.
Zum Glück sind wir nicht auf der Flucht und können uns die schönen Häuser auf dieser Seite der Kocher in Ruhe betrachten.

Dabei fällt auf, dass sich die Geschossvorsprünge fast auf Kopfhöhe befinden. Müssten die nicht eigentlich viel höher sein? Müssten sie, aber durch neue Pflasterung erhöhte sich das Straßenniveau im Laufe der Zeit. Vielleicht hätte man besser erst das alte Pflaster entfernt und nicht einfach Schicht für Schicht drauf gelegt.

Katharina will wohl aus der Stadt fliehen, deshalb schlägt sie die Richtung zum Steinerner Steg ein. Über den verlassen ja auch die Salztransporte die Stadt. Ihre Verfolger kommen aber immer näher, umzingeln sie und schneiden ihr den Fluchtweg ab. Ist ja auch kein Problem, da sie sich auf einer Insel befindet.
Der Rat ist stinksauer und macht kurzen Prozess. Hat Katharina noch eine Chance oder ereilt sie jetzt doch der Tod auf dem Scheiterhaufen? Wer das heraus bekommen will, muss sich leider selber auf den Weg nach Schwäbisch Hall machen. Die Auflösung gibt es an der letzte Station.
Mit einem letzten Blick auf die Stadt, überlasse ich Katharina ihrem Schicksal und trete die Heimreise an.
Übrigens lohnt sich ein Besuch der Stadt auch zur Hallia Venezia (eine Woche vor Rosenmontag), wenn Maskenträger in fantasievollen Masken durch die Straßen schlendern
