die Keimzelle des britischen Imperiums
16.11.2015


Glaubt man dem Reiseführer, ist Chennai ein äußerst ungünstiger Einstiegsort für Indien. Lärm, Verkehrschaos und Luftverschmutzung tun ihr übriges, diese Stadt nicht unbedingt lieb zu gewinnen.
Hinzu kommen in unserem Fall noch Regen und überschwemmte Straßen, die Busse und Tuk-Tuks zu Booten werden lassen.
Immerhin ist Chennai aber die fünftgrößte Stadt in Indien und wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Südens. Bollywood müsste eigentlich Chellywood heißen, denn das ehemalige Madras hat Mumbai den Rang als Filmmetropole längst streitig gemacht. Aber selbst das, kann mich nicht wirklich vom Hocker reißen. Die Stadt zu umgehen ist schwierig, denn sie ist nun mal Tor (oder auch Ausgang) einer Südindienreise, also machen wir das Beste daraus, schauen uns die paar Sehenswürdigkeiten an und verschwinden Richtung Küste.
Da ich ja schon am Vortag angereist bin, habe ich meinen Mitstreitern eine angenehme Nachtruhe mit ausreichendem Schlaf voraus. Beste Voraussetzungen, um im Bus nicht einzuschlafen.
Beginnen wir die Besichtigung doch mal mit der Grundsteinlegung. Das Fort St George erbauten die Briten im17. Jhdt. und begründeten damit ihre spätere Vorherrschaft im Land. In dem doch recht beeindruckend Gebäude ist heute die Regierung und das Parlament von Tamil Nadu untergebracht. Mich wundert allerdings, wie es bei der Luftverschmutzung in einem so reinen Weiß erscheinen kann. Ob die da nachts putzen und wienern?

Der Nordostmonsun hat Chennai voll im Griff. Zum Glück bekommen wir nicht das volle Ausmaß mit. Ein Bummel am eigentlich recht schönen Stadtstrand fällt im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Wo sonst Familien spazieren, Kinder spielen und fliegende Händler ihre Ware verkaufen, herrscht heute Land unter.

Bleiben wir noch ein wenig im kolonialen England. Das High Court Building kommt ganz in rot daher und erinnert mich mit seine Zwiebeltürmen mehr an den Roten Platz in Moskau.

Von hier aus könnte man sich ins Getümmel der Altstadt stürzen, wenn man ein paar Gummistiefel dabei hätte. Hier, in der Nähe des Forts, entstand das heutige Chennai. Berührungsängste darf man in
den menschenüberfüllten Gassen allerdings nicht haben und wen Lärm, Schmutz und freilaufende Kühe stören, ist hier ebenfalls falsch am Platz (aber der wäre sowieso besser nicht in ein Land wie
Indien gefahren). Schade, dass es regnet und die Zeit drängt. Ich hätte mich gerne stundenlang treiben lassen durch dieses quirlige Viertel mit seine Läden, Märkten und Basaren, mit seinen
Gerüchen und Farben. Das ist eben auch Indien. Leider bleibt mir heute nur der Blick aus dem Busfenster.
Damit hätten wir dann unser Soll erfüllt und kehren der Stadt den Rücken zu.
Immer am Meer entlang geht es Richtung Süden mit Ziel Mamallapuram. Wie schnell sich doch die Gegend ändern kann. Kaum ist man aus der Stadt Chennai heraus, überwiegen Strände, Palmen und das Meer, auch wenn heute vieles im Regenschleier verschwindet.
Da der Nachmittag nicht verplant ist (die meisten müssen ja noch ein wenig fehlenden Schlaf nachholen und sind nicht mehr wirklich aufnahmefähig), nutze ich die Zeit und eine Regenpause für einen kleinen Strandbummel. Füße ins Meer ist auch ok, aber nach schwimmen ist mir eher nicht. Wäre bei dem heutigen Wellengang auch nicht so empfehlenswert.
Einsamer Tourist am menschenleeren Strand ist für die Souvenierverkäufer natürlich gefundenes Fressen. Es kostet mich einiges an Überredungskunst die Jungs wieder los zu
werden.
Sonnenuntergang mit Palme ist heute leider nicht, aber man wird ja bescheiden. Bin ja schon froh, dass es nicht mehr regnet und am Himmel ein winziges Stück blau zu sehen ist. Den Sonnenuntergang werde ich hoffentlich auf dieser Tour noch erleben. (und wenn nicht, fahre ich nächstes Jahr wieder nach Afrika)

tausend und eine Säule
17.11.2015


Der Tag beginnt mal ohne Regen - das ist gut.
Unser heutiges Ziel ist eigentlich Kanchipuram, aber es ist immer von Vorteil, wenn der Reiseleiter ein Herz für Fotografen hat und weiss, wann wo die Sonne am besten steht.
Deshalb machen wir erst noch einen kurzen Stopp in Mamallapuram.

Die Herabkunft des Ganges ist dargestellt in einem riesigen Relief. Eine natürliche Vertiefung im Felsblock stellt das Flussbett dar, in dessen Bett der Schlangenkönig auf das lebensspendende Elixier wartet. Wenige Meter hinter ihm wartet die Schlangenkönigin.
Bewundert werden die zwei von einer Vielzahl an Göttern, Tieren, Dämonen und sonstigen Fabelwesen.
Mir hat es besonders die Elefantenfamilie mit ihren Kleinen angetan. Ich hoffe doch sehr, dass wir eine solche auch noch in echt zu sehen bekommen.
Witzig auch die Katze, die vorgibt zu meditieren und dabei die Mäuseschar um sich herum im Auge behält. Wann wird sie wohl zuschlagen?
Programmpunkt abgehakt, dann können wir uns ja jetzt auf den Weg ins 75 Kilometer entfernte Kanchipuram machen.
Auf dem Weg dorthin passieren wir einige Dörfer und langsam wird mir klar, warum man seine ersten Indienerfahrungen doch besser mit dem Norden, sprich Rajasthan machen sollte.
Hier im Süden wirkt alles noch ärmlicher, aber auch dreckiger. Überall in den Ortschaften liegt der Müll herum und viele Häuser sind einfach nur Stroh gedeckte Lehmhütten. Das Wasser, welches teilweise die Straßen überschwemmt und die Häuser überflutet hat, macht den Eindruck auch nicht unbedingt besser.
Natürlich gibt es auch hübsche bunte und ansehnliche Häuser, aber die Unterschiede sind schon sehr krass. Zu arbeiten scheint auch keiner, denn überall sitzen die Leute bei einem Schwatz zusammen.
Kühe, Ziegen, Hunde und gelegentlich sogar ein paar Schweine vervollständigen das Bild.

An einer Brücke steht das Wasser bereits so hoch, dass nur noch ein paar Zentimeter fehlen bis zum Land unter (oder besser Brücke unter). Vielleicht sollten wir schauen, dass wir so schnell wie möglich auf die andere Seite kommen.
Irgendwann erreichen wir dann doch unser Ziel Kanchipuram oder auch kurz Kanchi im Volksmund. Sie gehört zu den sieben heiligen Stätten in Indien und ist die einzige im südlichen Teil. Sie ist auch bekannt als die Stadt der 100 Tempel. Die werden wir aber nicht alle besichtigen; so viel Zeit bleibt uns gar nicht. Außerdem müssen die Götter ab 12:00 Uhr Siesta halten, deshalb sind über die Mittagszeit alle Tempel geschlossen. Oder sind das etwa die Priester, die dann ihr Schläfchen halten wollen?
Es bleiben uns also nur ein paar Stunden für die drei Haupttempel. Alle drei sind lebendige Tempel, wie unser Guide so schön sagt. Das bedeutet Schuhe aus und das Hauptheiligtum bleibt uns verwehrt.


Die Mehrzahl der Tempel von Kanchi stammt aus der Pallava-Dynastie. Diese lebten im 4. Jhdt. Unser erstes Ziel ist der Vaikuntha-Perumal-Tempel.
Hier begeistert vor allem die "Tausend-Säulen-Halle", auch wenn es gefühlsmäßig nur etwa die Hälfte Säulen sind. Ob die Baumeister wohl einen in der Krone hatten und doppelt gesehen haben oder hatten die etwa eine andere Mathematik. Ist eigentlich auch egal, denn selbst bei knapp 500 Säulen, weiß man gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Soviel gibt es hier zu entdecken. Mir gefallen am besten die vielen Pferde,
aber auch die Geschichten über Vishnu und die Aufklärung für Jugendliche sind beachtenswert. Wer bisher noch nicht wusste, wie ein Zungenkuss funktioniert, der kann es hier lernen, wobei ich die Haltung schon etwas seltsam finde. Natürlich gibt es auch die Tempelhure und deren Freuden.
Wer sich wundert, warum die "Tausend-Säulen-Halle" in einem ganz anderen Architekturstil daher kommt als der Rest des Tempels, dem sei gesagt, dass viele der Tempel im Laufe der Jahrhunderte von
anderen Herrschern erweitert wurden.
Zweiter im Bunde ist der Ekambareshvara-Tempel, bereits von Weitem an seinem 57 Meter hohen Gopuram (Eingangstor) zu erkennen.
In Tamil Nadu gibt es fünf heilige Orte, die jeweils eines der fünf Elemente repräsentieren. Hier steht im Haupttempel, den wir allerdings nicht betreten dürfen, ein Lingam aus Erde. Na, was
sagt uns das? Wo Phallussymbol, da Shiva nicht weit und da der aus Erde ist (der Phallus, nicht Shiva) ist wohl auch klar, welches Element hier verehrt wird.




Der Ekambareshvara-Tempel ist der größte Tempel der Gegend, aber auch hier hat die "Tausend-Säulen-Halle" niemals mehr als 540 verzierte Pfeiler. (Muss wohl doch an der
Mathematik liegen) Vielleicht zählen hier aber auch die mindestens genauso vielen Lingams mit. (sind ja auch sowas wie kleine Säulen). Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass Shiva ein
Problem mit seine Männlichkeit hat.

Eka amra natha bedeutet Herr des Mangobaums und davon leitet sich der Name des Tempels ab. In einem abgeschlossenen Hof steht ein recht kümmerlicher, kleiner Mangobaum. Und um den wird jetzt soviel Tamtam gemacht? Nein, denn er ist nur der Nachkomme des eigentlichen Baumes. Der soll angeblich über 3500 Jahre alt geworden, aber vor einigen Jahren eingegangen sein. Was mögen die nur mit dem alten Baum angestellt haben?
Wie bezeichnet unser Guide diese Tempel so schön: es sind lebende Tempel, dh Menschen kommen hier her um ihre Götter zu verehren oder um Devotionalien zu verkaufen.

Als bedeutendster Tempel gilt der Kailashanatha Tempel. Er ist Shiva gewidmet. Woher ich das weiß? Klar, es steht im Reiseführer, aber wer meinen Bericht über Nepal gelesen hat, weiß, woran ich es auch ohne Reiseführer erkennen kann. Hat doch jeder Gott sein eigenes Reittier, dass er vor demTempel anzubinden pflegt. (ähnlich der Pferde im Wilden Westen).
Na, und wer steht erhöht auf einer Plattform vor dem Haupteingang? Ein gewaltiger Nandi-Bulle und der ist das Reittier von Shiva. Betritt man den Tempel fallen einem die vielen verzierten Säulen des Umgangs auf. Sogar Reste der ehemaligen Bemalung sind noch zu finden. Wendet man sich dem Versammlungssaal zu, springen einem Löwen entgegen und Götter blicken auf einen hinab.
Diesen letzten Tempel haben wir während der eigentlichen Mittagsruhe besucht. Na, hoffentlich haben wir damit nicht den Zorn der Götter, bzw Shivas hervor gerufen. Mit dem möchte ich es mir lieber nicht verderben und seine Gattin ist in ihrer Form als Kali auch nicht ohne.
Für uns wird es aber sowieso Zeit den Heimweg anzutreten. Entweder haben wir zuviel Zeit in den drei Tempeln verbummelt oder einfach die Fahrstrecke unterschätzt, jedenfalls kommen wir so spät nach Mamallapuram zurück, dass wir das geplante Programm auf morgen verschieben müssen. Ist aber nicht weiter schlimm, da der folgende Tag mehr oder weniger als Fahrtag geplant war.
ein Hauch von Savoirvivre
18.11.2015


Mamallapuram ist eher klein und doch ist es im übertragenen Sinn groß. Eigentlich kaum zu glauben, dass hier einst der bedeutendste Hafen der Ostküste angesiedelt war. Bereits mit dem Römischen Reich wurde Handel getrieben und später exportierten indische Kaufleute nicht nur Seide und Elfenbein, sondern auch die Kultur der Pallava-Könige. Dieser rege Überseehandel spülte ordentlich Geld in die Kassen, mit dem die großartigen Baudenkmäler finanziert wurden, die wir heute noch bewundern können.
Die Stadt ist aber auch ein perfektes Beispiel hinduistischer Tempelkunst, kann man doch hier alle drei Baustiele bewundern. Dazu gleich mehr.

Das große Felsenrelief haben wir ja gestern bereits bewundert. Gleich daneben gibt es ein weiteres.
Die Hirten von Matura hatten sich den Zorn des Götterkönigs Indra zugezogen, weil sie ihm nicht genügend Ehre erwiesen hatten. Mit Regenfluten wollte dieser sie dafür vernichten. (Frage mich gerade, wem wir wohl nicht genug Ehre erwiesen haben, dass man uns mit Regenmassen straft) Da hat er aber wohl nicht mit Krishna gerechnet, der mit seinem kleinen Finger einfach mal so eben für sieben Tage den Berg Govardhana schützend über die Menschen hält.

Keine paar Schritte weiter möchte man am liebsten umdrehen und rasch das Weite suchen. Warum?
Eine riesige Felskugel, auch Krishna's Butter Ball genannt, liegt hier auf einem Felsrücken. Man wird den Eindruck nicht los, das Ding könnte sich jeden Moment selbständig machen und einen überrollen.

Vom alten Palast ist leider nicht mehr viel erhalten. Die Lage oben auf dem Hügel war aber strategisch schon recht geschickt.
Ich bin jetzt mal für fünf Minuten die Königin auf meinem Löwenthron. Auf das erfrischende Bad im Anschluß verzichte ich heute jedoch.

Kommen wir jetzt aber zur hinduistischen Tempelbauweise. Die ersten Tempel wurden als Höhlen in den Fels hinein gehauen. Das hatte den Nachteil, dass man nicht bauen konnte, wo man wollte und eine Umrundung des Heiligtums stellte sich auch als recht mühevoll heraus, da man ja den ganzen Felsen umrunden musste. Fehler beim Bearbeiten sollten tunlichst vermieden werden, denn das hätte einen Neubeginn der Arbeit bedeutet. Gesehen haben wir diese Tempel bereits auf Elephanta und in Ajanta.
Ein Beispiel dafür hier ist auch die Varaha-Höhle.

Hier wird Vishnu in seiner Inkarnation als Eber verehrt. Mit seinen Hauern rettet er die Erde (Gott Pritvi) aus den Tiefen des Ozeans (Naga-Schlange).
Ein weiteres Relief zeigt die Göttin Lakshmi, wie sie von zwei Elefanten geduscht wird. Könnte mir auch gefallen oder muss man dazu Göttin sein?

Ein weiters eindrucksvolles Beispiel ist die Mahishasura Höhle mit ihren zwei Reliefs.
Auf der einen Seite Vishnu, ganz die Ruhe selbst, meditierend auf der Weltenschlange.
Auf der anderen Seite Frauenpower pur. Hier vertreibt Durga erfolgreich den Büffeldämon. Soll mir das jetzt irgendwas über die Verteilung der Geschlechter sagen?
Wozu mögen wohl die sogenannten fünf Rathas gedient haben? Entstanden ist die Tempelgruppe während der Regierungszeit von Narasimhavarman I im 7. Jhdt.
Sie wurden allerdings nie als Tempel benutzt. Auffällig ist aber, dass alle in einem anderen Stil entstanden sind. War das so einen Art Lehrort, wo man die verschiedenen Variationen der südindischen Baukunst erproben und erforschen konnte oder sollte?
Auffällig ist auch, dass sie alle jeweils aus einem Granitfelsen gehauen wurden und damit kommen wir zur zweiten Phase, der monolithischen. Hier wurde der Tempel aus einem Felsen heraus gemeißelt. Nachteil auch hier, keine ganz freie Entscheidung von Lage und Ausmaß des Tempels, denn man war ja an die Größe des Felsen gebunden. Fehler beim Bearbeiten waren auch hier nicht korrigierbar. Also entweder von vorne anfangen oder Fehler einbauen. Immerhin war es aber jetzt einfacher, das Heiligtum zu umrunden, denn der fertige Tempel stand ja frei, wie in Ellora.

Die einfachste Form des Heiligtums stellt der Draupadi-Ratha dar. Er kommt mit einem geschwungenen Dach daher, wie man es auch bei Wohnhütten findet.

Der Bhima-Ratha ist ein langgestreckter Bau mit Satteldach, welches auf einem Säulenumgang ruht.
Er erinnert mich mit seinen Galerien ein wenig an die Höhlentempel in Ajanta und damit liege ich gar nicht so falsch. Er diente als Vorbild für eben jene Hallen, die aber in den Felsen hineingebaut und nicht wie hier aus dem Fels herausgearbeitet wurden.

Schaut man beim letzten Kunstwerk, dem Nakula-Sahadeva-Ratha genau hin, wird man alle Architekturelemente vereint vorfinden.

Gleich nebenan steht der Arjuna-Ratha. Der sieht schon eher aus, wie die meisten südindischen Tempel mit seinem pyramidenförmigen Dach und den verzierten Säulen.

Der größte Bau des Komplexes ist der Dharmaraja-Ratha. Ihn kann man als Prototyp für spätere Tempel bezeichnen. Hier wurden Pavillons an- und übereinander gereiht und bilden so eine Pyramide.


Fehlt zum Abschluss noch die dritte Form. Hier wird mit Blöcken gearbeitet. Fehler sind hier nicht so tragisch, man kann ja einfach einen neuen Block behauen und auch die Frage des Standortes
stellt sich nicht mehr.

Der steinerne Strandtempel wirkt von weiten ein wenig wie eine riesige Sandburg. In früheren Zeiten umspielten in sogar die Wellen des Meeres. Ob sein Turm wohl deshalb so hoch ist, weil er, mit einem Leuchtfeuer versehen, als Navigationshilfe für die Schiffe diente?
Einen so bedeutenden Tempel will natürlich jeder Gott sein eigen nennen. Damit erst gar kein Streit aufkommt, teilen sich Shiva und Vishnu dieses Heiligtum und Brahma hat in der indischen Götterwelt eh nicht viel zu melden.
Leider haben der Wind und die salzhaltige Luft ihre Spuren an dem Bauwerk hinterlassen und viele der Steinmetzarbeiten sind bereits bis fast zur Unkenntlichkeit verwittert.
Bisher war mir nur bewusst, dass die Engländer sich in Indien breit gemacht hatten. Dass auch die Franzosen ihre Spuren hinterlassen haben, war mir neu. Denen gefiel nämlich gar nicht, dass die
Engländer sich hier an den bedeutenden Schifffahrtsrouten breit machten. Den Briten dagegen waren die Franzosen ein Dorn im Auge. Wer lässt sich schon gerne sein Vorherrschaft streitig machen.
Grund genug sich gegenseitig zu bekriegen. Pondicherry, welches wir gerade ansteuern und was den Franzosen gehörte, wurde dabei mehrfach zerstört. Ist schon schwierig sich gegen eine solch starke
Kolonialmacht durchzusetzen. Die Briten behielten die Oberhand, überließen aber den Gegnern 1814 die Stadt Pondicherry.

Was macht jetzt Reisegruppe mit drei Stunden Freizeit? Hotelpool testen oder eine Runde Schlaf nachholen.
Was macht frau, wenn sie dazu keine Lust hat? Sie stürzt sich alleine ins indische Leben und zwar ohne Angst vor den Einheimischen und ohne Furcht sich zu verlaufen. Zweiteres ist nicht so schwierig, denn die Stadt ist schachbrettartig angelegt und man findet sogar Straßennamen. Ersteres kann ich sowieso nicht verstehen, denn in Indien findet man nur freundliche Menschen (mit Ausnahme der manchmal etwas lästigen Händler an den Sehenswürdigkeiten)
Auf den erste Blick, erscheint die Stadt so gar nicht französisch, sondern ganz und gar indisch: laut, dreckig, chaotisch. Liegt vielleicht auch daran, dass ich mich hier im indischen Teil der Stadt befinde. Die war nämlich durch einen Kanal in einen vornehmen französischen und einen chaotischen indischen Part geteilt. Ich finde es jedenfalls viel spannender und faszinierender durch dieses Chaos von Händlern, Autos, Rikschas zu bummeln und diese indische Atmosphäre in mich aufzunehmen. Genau diese Atmosphäre kann ich im Grand Bazaar und den umliegenden Gassen auf mich wirken lassen.

Wenn dann noch alle paar Meter eine Kuh auftaucht, ist mein Indienbild fast perfekt.
(auch wenn diese Kuh sich bei näherer Betrachtung als Pferd entpuppt hat. Wo gibt es denn sowas?)
Sauber und perfekt kann ich auch daheim haben.
Überall trifft man auf fliegende Händler, die wirklich alles verkaufen von Gemüse und Obst über Gewürze bis zu Fleisch und Fisch. Allzu empfindlich darf man aber nicht sein.

Ist mal gerade keine Kundschaft da, eignet sich die eigene Rikscha auch als Schlafplatz

und Gerüstbau sieht in Indien so aus:
Was aber darf in keinem indischen Viertel fehlen? Die vielen Tempel mit ihren bunten, reich verzierten Türmen. Die sind fast wie Wimmelbilder und man könnte Stunden davor verbringen, um alle Einzelheiten zu studieren.

Trotz der Zerstörungswut der Briten, ist noch ein wenig der einstigen französischen Enklave erhalten geblieben.
Im kolonialen Quartier Francais wandelt man durch Kopfsteinpflaster-Alleen vorbei an alten Kolonialgebäuden und Villen.
Spätestens jetzt wird dann jedem bewusst, dass die Franzosen hier ihr kleines Reich verteidigt haben. Frei nach Asterix und Obelix: "Ganz Gallien ist von den Römern besetzt... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Nur das hier die Römer Briten waren und Gallien Indien.

Nicht so ganz ins Bild passen will da der Sri-Manakula-Vinayagar-Tempel mitten im historischen Viertel. Begrüßt wird man, wie in vielen südindischen Tempeln von einem Elefanten. Passt perfekt, denn kein anderer als Ganesha wird hier verehrt. Mal schauen, ob ich irgendwo sein Reittier, die Ratte entdecken kann. Da sag noch mal einer, Elefanten hätten Angst vor Mäusen.
Außerdem bin ich ja ein absoluter Fan vom gemütlichen, dicken Ganesha, zudem er ja auch als Glücksbringer fungiert.

Ein kurzer Bummel entlang der Uferpromenade bringt mich zurück ans Hotel. Zwei Kilometer ist sie lang und ziemlich in der Mitte steht eine Statue von Mahatma Gandhi. Schräg gegenüber, der alte Leuchtturm, der aber definitiv schon bessere Zeiten gesehen hat.

Tanz der Götter
19.11.2015


Ein langer, aber abwechslungsreicher Tag im Bus steht uns heute bevor. Erstes Ziel ist Chidambaram, ein Muss auf jeder Südindien-Tour, gilt es doch als eines der heiligsten Shiva-Zentren. Glaubt
man der Legende (und das sollte man in Indien immer), so sind männliches Imponiergehabe und weibliche Scham (was sagt uns das?) Grund für die Bedeutung des Ortes. Shiva forderte einst seine Frau
Parvati zu einem Tanzwettbewerb heraus. Diese ließ sich nicht zweimal bitten und die zwei übertrafen sich mit einer Höchstleistung nach der anderen. Als Mann musste Shiva als Sieger hervorgehen
und so spielte er mit nicht ganz fairen Karten. Er nahm die berühmte Tandava-Pose ein, bei der er ein Bein bis an den Kopf streckte. Zu sehen ist sie an vielen indischen Tempelwänden. Da musste
Parvati passen, denn eine solche Pose hätte das weibliche Schamempfinden verletzt.

Schon von weitem erkennt man die vier Gopurams, Tortürme, welche die Gebirgskette symbolisieren, die die hinduistische Welt begrenzen. Sie beeindrucken durch ihre vielen bunten Göttergestalten und, passend zur Legende mit 108 Tanzhaltungen, übernommen aus dem hinduistischen Tanzlehrbuch Natyasatra.
Hannes ist gleich Feuer und Flamme und würde am liebsten alle ausprobieren.
Die Anlage ist sehr verschachtelt und man muss aufpassen dass man in dem Labyrinth nicht den Anschluss an die Gruppe verliert. Grund dafür ist die Tatsache, dass im Laufe der Zeit immer neue
Gebäude zu der Anlage hinzugefügt wurden.
Das Allerheiligste, den Nritta Sabha dürfen wir als Nichthindus nicht betreten. Schade, denn ich hätte gerne die Figur des tanzenden Shiva gesehen. Diese kleine Tanzhalle steht an der
Stelle, an der der Tanzwettbewerb angeblich stattfand.
Es ist schon wieder Mittagszeit und die Tempel schließen. Zwar sind unsere Tagesentfernungen nicht wirklich groß, aber das will in Indien nichts heißen. Da braucht man für 80 Kilometer schon mal gute zwei Stunden.
Vorbei an Palmenhainen und Reisfeldern geht es Richtung Tagesziel.
Reis ist hier im Süden das Grundnahrungsmittel überhaupt und so verwundern die vielen Reisfelder auch nicht. Besonders lecker ist er als Biriyani, einer Reis-Gemüse-Mischung, die mit Nüssen und
Rosinen angereichert wird und bei Wunsch auch mit Fleisch serviert wird. Den gönn ich mir doch gleich mal zum heutigen Mittagessen.

Kurze Zeit später sind wir dann in Darasuram.
Der hiesige Airatesvara-Tempel gilt als einer der schönsten der Cholla-Dynastie und ist Shiva geweiht.

Vor die Besichtigung seiner Tempel hat Shiva die Entledigung der Schuhe gesetzt. Socken sind in den meisten noch erlaubt. Sauber sind die Tempel nicht unbedingt immer, man sollte besser nicht allzu zimperlich sein, wenn man sich auf Südindientour begibt.
Es gibt aber Tage, wie heute, da setzt Shiva noch einen drauf und stellt uns Nichthindus vor eine weitere Aufgabe, bevor er uns gnädiger Weise Zutritt zu seinem Tempel gewährt.
Mir gefallen am besten die vielen schön verzierten Treppenaufgänge
und die Skulpturen und Malereien in den Nischen. Wie schön muss das früher ausgesehen haben in diesen natürlichen Farben. Nicht so kitschig bunt, wie heute so mancher Tempel daher kommt. Solange es kein historisch bedeutender Tempel ist, obliegt es dem Priester ob und wie er ihn bemalen möchte. Deshalb kommen manche in diesen quietschbunten Farben daher.
Und die Quizfrage für den heutigen Tag lautet: welche zwei Tiere verstecken sich in dieser Skulptur?

Auch hier gibt es eine Säulenhalle mit ich schätze mal hundert Pfeilern, die genau wie die Decke reich mit Musikanten, Tänzern, Göttern und Ornamenten geschmückt sind.

Noch mehr Lust auf Legenden? Wenn nicht, ist man auf einer Südindien Tour falsch, denn hier trifft man an jeder Ecke auf solche. So auch in Kumbakonam. Hier findet man eine ungewöhnliche Dichte an Tempelanlagen und das liegt der Legende nach daran, dass am Zusammenfluss von Chauveri und Arasalar der äußerst wertvolle Nektartopf mit dem Trunk der Unsterblichkeit anlandete. Shiva zerstörte das Gefäß und formte aus den Scherben einen Lingam. Zu bewundern ist dieser im Kumbareshwara-Tempel.
Der Trank floss in den Mahaka-Teich. Alle zwölf Jahre soll angeblich Ganges-Wasser in den Teich fließen und Millionen von Pilgern anlocken, die einmal in die heiligen Fluten eintauchen wollen. Frag mich nur, wie das Wasser den weiten Weg vom Norden nimmt.
Heute wird hier nur Wäsche in die Fluten getaucht.
Ansonsten ist die Stadt so begeisternd wie die meisten südindischen Städte: Kühe auf den Straßen (oder auch mal am Denkmal) oder als Zugtiere, Verkäufer und Dreck an jeder Straßenecke. Übrigens sind die Kühe nicht so herrenlos, wie sie scheinen. Sie gehören einer Familie, streifen tagsüber durch die Straßen und kehren nachts zum Fressen und Schlafen zurück.

Wir haben uns ja bereits von der Küste abgewendet und sind ins Landesinnere vorgestoßen. Diese Richtung werden wir die nächsten Tage beibehalten, denn unser Ziel ist die Westküste (mit
hoffentlich weniger Regen)